Das Bild "Mutter mit Kind (Maria und Georg Pöltl)" von Karoline Wittmann aus dem Besitz der Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider ist derzeit als Leihgabe in der Ausstellung Erinnerung ist... des nsdoku München zu sehen. Das Gemälde zeigt die Schwester der Malerin, Maria Pöltl, mit ihrem Sohn Georg. Der 1928 geborene Junge wurde im Februar 1945 wegen Einbruchs in zerbombte Häuser verhaftet. Er wurde im KZ Dachau inhaftiert, wo er wenige Wochen später starb. Sein Schicksal verweist auf die Vielzahl der „vergessenen Opfer“ des Nationalsozialismus – Menschen, die als „asozial“ oder „volksschädigend“ verfolgt und ermordet wurden.

Anlässlich des zehnjährigen Bestehens des NS-Dokumentationszentrums München lädt Erinnerung ist… zu einem gemeinsamen Nachdenken darüber ein, wie schwierige und schmerzhafte Erfahrungen dargestellt, vermittelt und gedeutet werden können. Ein Hut, eine Holzkiste, ein Tablettenröhrchen, ein Bierkrug. Welche Erinnerungen haften diesen Dingen an, welche Geschichten können sie erzählen? Was wollen wir von ihnen erfahren?

Für ein Jahr ergänzen ausgewählte Objekte die Ausstellung München und der Nationalsozialismus und erzählen sie durch neue Geschichten weiter. Große und kleine, alltägliche und ungewöhnliche Dinge schaffen sinnliche Zugänge und ermöglichen einen anderen Blick auf die Vergangenheit. Persönliche Audio-Kommentare begleiten die einzelnen Objekte, ordnen sie ein und machen größere Zusammenhänge greifbar. Zu dem Bild von Karoline Wittmann erzählt ihr Sohn Paul Maria Wittmann:

Auf dem Gemälde ist die Schwester der Malerin, Maria Pöltl, und ihr Sohn Georg als Kleinkind zu sehen. Gemalt wurde es nach einer Skizze aus den späten 1920er Jahren. Als das Bild entstand, ahnte niemand, dass „Schorschi“ einige Jahre später tot sein würde: Er starb 1945 mit 16 Jahren im KZ Dachau.

Georg war ein widerständiger Geist gewesen. Der Vater war 1943 in der Ukraine gefallen, die Mutter zum Arbeitsdienst im Schreibbüro des Polizeipräsidiums verpflichtet. So fehlten ihm mitten im Krieg echte Ansprechpartner in den so wichtigen „Teenagerjahren“. Den Erziehungsversuchen durch die Großeltern, die einen Schreibwarenladen führten, entzog er sich und war meist auf sich allein gestellt. Gegenüber der NS-Ideologie scheint er widerspenstig gewesen zu sein. Er war kein Mitglied der Hitlerjugend, und es heißt, er habe aus Solidarität verdeckt einen Davidstern auf seinem Unterhemd getragen.

Anfang 1945 stieg er mit einem Freund in eine ausgebombte Villa in Bogenhausen ein. Beide betranken sich dort im Weinkeller, wurden am 3. Februar 1945 von der Polizei aufgegriffen und wegen Platzmangels in Münchner Gefängnissen im sogenannten „Ausweicharrest“ des KZ Dachau inhaftiert. In das völlig mit Hungernden überfüllte, typhusverseuchte KZ brachte die Mutter Essenspakete, die Schorschi wahrscheinlich nie erhielt. Bei ihrem letzten Besuch am 10. April 1945 eröffnete die SS der Mutter und ihrer Schwester Karoline, dass Schorschi bereits am 3. April verstorben und eingeäschert worden sei, sie könnten das Esspaket wieder mitnehmen und eine Handvoll Asche dazu. Der überlebende Freund berichtete später, dass man Schorschi noch lebend auf einen Leichenberg geworfen habe. Vermutlich wurde er in einem Massengrab verscharrt, Krematorien waren zu dieser Zeit außer Betrieb.

Die Ungewissheit über die Umstände von Schorschis Tod, der unerträgliche Schmerz vor allem der Mutter und der Tante Karoline überschatteten das Leben der Familie. Auf die Frage der Cousine Bobby an die Mutter nach einem Grabstein antwortete sie einmal weinend: „Er lebt ja noch, er ist nicht tot!“. Der Verlust des einzigen Kindes durfte in der Familie bis zum Tod der Mutter 1984 nicht angesprochen werden.

Das Gemälde aber lebt fort. Es steht exemplarisch für Millionen von Einzelschicksalen unter unmenschlicher Gewaltherrschaft. Möge es, gemeinsam mit dem 2024 eingeweihten Erinnerungszeichen für Schorschi in München-Bogenhausen, nicht nur als Erinnerung, sondern gerade heute, in einer Zeit, in der wieder ein Krieg in Europa tobt und totalitäre Kräfte nach der Macht greifen, als Warnung stehen: „Nie wieder!“

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